Ein Navi im Labyrinth – die Fünf Tugenden

Wie könnt ihr durch das Gewirr der vielen Entscheidungen im Leben navigieren und trotzdem sicher sein, dass ihr auf einem Weg seid, der euch immer glücklicher machen wird? Dieses Navi wird euch sicher durch das Labyrinth führen. Und das Beste: Ihr habt es immer in der Tasche und müsst euch nicht extra Zeit dafür nehmen.

Die 5 Übungspfade oder Sila, wie sie auch genannt werden, sind die buddhistische Navigationshilfe.  Sie sind eine Anleitung zum heilstauglichen Verhalten, also einem Verhalten, dass zum Heil tauglich macht. Wenn wir uns an diesen Tugenden (sila) ausrichten, wird sich unser Durst verringern. Das ist eine Wirkung, die uns voran bringt Richtung Nibbana (Nirvana). Außerdem können die Auswirkungen unserer Handlungen uns nicht mehr schaden, das ist die zweite Wirkung, die uns eine glücklichere Zukunft verspricht. Unser Kamma (Karma) verbessert sich und damit ergeht es uns besser.

 

Auf Autopilot leben

Diese 5 Tugenden sind mein innerer Autopilot, der immer eingeschaltet ist. Wenn ich die Pfade verlasse, schickt mein Autopilot mir ein Warnsignal. Dieses Warnsignal fühlt sich vermutlich für jeden etwas anders an. Findet heraus, welchen Ton euer persönliches Warnsignal hat.

Wenn mein Warner angeht, habe ich zunächst das Gefühl, das gerade irgend etwas falsch ist. Ich fühle mich irritiert, dann kommt so etwas wie ein kleiner oder manchmal auch größerer Druck in der Herzgegend. Das Warnsignal wird auch schon ausgelöst, wenn ich in Gedanken die Pfade verlassen habe. Wenn ich richtig aus der Kurve geflogen bin, vernebelt sich auch mein Denken. Höchste Zeit genau hinzusehen, wohin mein Kurs gerade steuert.

 

Die fünf heilenden Tugenden (silas)

1. Ich will mich darin üben, kein lebendes Wesen zu töten.

2. Ich will mich darin üben, Nichtgegebenes nicht zu nehmen.

3. Ich will mich darin üben, keine falschen Geschlechtsbeziehungen zu haben.

4. Ich will mich darin üben, nicht zu lügen.

5. Ich will mich darin üben, keine berauschenden Mittel zu mir zu nehmen.

 

Die einzelnen Tugenden

1. Ich will mich darin üben, kein lebendes Wesen zu töten,

sondern das innere Widerstreben gegen das Umbringen von Lebendigem spürend, gewaltfrei, waffenlos, sanftmütig, freundlich, mit allem Lebendigen mitempfinden.

Diese Geschichte illustriert die Folgen des Tötens, die auf einen selbst zurückfallen:

Der Buddha war gerade auf dem Almosengang in die Stadt. Dabei kam er an einer Gruppe Kinder vorbei, die Fische fingen. Der Erwachte ging zu ihnen und fragte sie: „Kinder, habt ihr Angst vor Schmerzen. Mögt ihr keine Schmerzen?“ – „Ja, Herr, vor Schmerzen haben wir Angst, Schmerzen mögen wir keine.“ – Daraufhin antwortete der Erwachte mit folgenden Ausspruch:

Wenn ihr Angst vor Schmerzen habt und nicht gerne Schmerzen mögt, seht, ob ihr nichts Böses tatet, jetzt nicht tut und auch nicht künftig: könnt sonst nicht dem Schmerz entkommen, nicht forthüpfen, nicht fortspringen.

 

2. Ich will mich darin üben, Nichtgegebenes nicht zu nehmen,

sondern das innere Widerstreben gegen das jedes Nehmen von Nichtgegebenem spüren, nur Gegebenes nehmen, Gegebenes abwarten, nicht diebisch gesinnt sein.

Mir gefällt die Formulierung  „Nichtgegebenes nicht zu nehmen“, weil sie so eindeutig ist. Ich habe einmal mit einer Jugendlichen diskutiert, die bei Karstadt einen Ferienjob hatte. Sie klaute und fand das in Ordnung, weil sie nicht viel Lohn erhielt. Dadurch stehle sie nicht, sondern bessere ihren Lohn auf. Auch das fällt allerdings in die Kategorie, Nichtgegebenes zu nehmen.

3. Ich will mich darin üben, keine falschen Geschlechtsbeziehungen zu haben,

sondern das innere Widerstreben gegen falsche Geschlechtsbeziehungen spüren. Fernhalten will ich mich von Mädchen und Jungen, die unter der Obhut der Mutter oder des Vaters, unter der Obhut von Bruder oder von Schwester, unter der Obhut von Verwandten stehen, von Verheirateten.

Heilstaugliches Verhalten in sexuellen Beziehungen wie auch in allen anderen sinnlichen Genüssen heißt, dass man niemanden in Bedrängnis bringt, weder sich selbst noch andere. Sexualität ist die stärkste Kraft in uns, manche behaupten, dass wir uns wegen unseres Durstes nach Sexualität auf der menschlichen Ebene vorfinden. Es geht nicht darum, Sexualität zu verbieten oder für sündhaft zu erklären. Das hat der Buddha nie getan. Wichtig ist, dass sie kein Leid verursacht. An der Sexualität kann man übrigens hervorragend spüren, wie stark Durst sein kann.

4. Ich will mich darin üben, nicht zu lügen,

sondern das innere Widerstreben gegen die Lüge spürend nur die Wahrheit sagen, bei der Wahrheit bleiben, verlässlich, vertrauenswürdig, die üblichen weltlichen Ungeradheiten nicht mitmachen.

Viele von euch werden wahrscheinlich sagen: ich lüge nicht. Gut für euch! Dann fangt an, auch auf die kleinen „weltlichen Ungeradheiten“ zu achten. Werdet vollkommen verlässlich.

 

5. Ich will mich darin üben, keine berauschenden Mittel zu mir zu nehmen,

sondern das innere Widerstreben vor diesen Mitteln spürend, will ich die Selbstkontrolle und Vernunft hindernden Mittel verwerfen, klarbewusst leben.

Dieser Punkt erregt meistens viel Widerspruch. Nichts trinken, auch wenn ich nicht betrunken bin hinterher? Nein, auch dann nicht. Interessant, nicht? Wenn eine Grenze gesetzt wird, merken wir, wie der Durst dagegen anrennt, und wir spüren seine Stärke.

Auch hier geht es darum, den Maßstab nicht zu verbiegen. Wenn ihr also etwas trinkt, denkt nicht, ich bin ja nicht betrunken, also ist es in Ordnung. Ihr bekommt es dann noch nicht hin, nichts zu trinken. Und das ist erstmal in Ordnung, solange das Ziel des Übungspfades klar ist: nichts zu trinken.

Hinterher könnt ihr euch fragen (wenn die Wirkung des Alkohols abgeklungen ist): Wofür brauchte ich den Alkohol? Warum ist es so schwer, nein danke zu sagen? 

Ich lebe seit über 15 Jahren ohne Alkohol und glaubt mir, das Leben ist schön!

Dieser Übungspfad gilt auch für alle Arten von Drogen.

Notwendige Medikamente sind damit allerdings nicht gemeint.

 

Zur Tugend erwachsen

Wie gesagt, die Tugenden sind der gültige Maßstab. Das heißt nicht, dass ich es immer schaffe, so zu leben. Das wird auch nicht erwartet, denn es sind Übungspfade. Eines Tages werde ich die Übungspfade als Werkzeug hinter mir lassen und es wird mir gar nicht mehr möglich sein, mich anders zu verhalten.

Wichtig beim Üben ist es, den Maßstab nicht zu verbiegen. Der Maßstab gilt und wenn ich z.B. gelogen oder auch übertrieben habe (auch das gehört dazu), dann muss ich mir sagen, ok, das habe ich nicht hingekriegt. Woran hat es gelegen? Wie könnte ich es nächstes Mal besser hinkriegen und mich dann auch wohler fühlen?

Es geht darum, ein inneres Widerstreben zu entwickeln, den Autopilot-Warnton, wenn wir den Tugendpfad verlassen und hinterher daran zu arbeiten, unsere „Fahrtechnik“ zu verbessern, um nicht mehr aus der Kurve fliegen.

 Wann ist ein Anhänger zur Tugend erwachsen, Herr? – Wenn es dem Wesen eines Anhängers widerstrebt, Lebendiges umzubringen, Nichtgegebenes zu nehmen, falsche Geschlechtsbeziehungen zu pflegen, zu lügen, Alkohol oder andere die klare Vernunft oder Selbstkontrolle hindernde Mittel zu nehmen, dann ist er zur Tugend erwachsen.

A III, 25 

 

Die heilenden Tugenden

Ich habe in der Überschrift geschrieben: die „heilenden“ Tugenden. Was heißt heilend? Die Tugenden sind kein Selbstzweck und sie einfach nur dem Buchstaben nach einzuhalten, ist nicht das Ziel. Dann wären es einfach ethische Regeln.

  Sie werden von Verständigen gepriesen, befreien aus der Sklaverei (durch den Durst), wenn man nicht an ihnen festhängt, führen sie zur Einigung.

Sie sind ein Mittel, ein Übungsweg, um etwas anderes zu erreichen, die Einigung.

 

Der direkte Weg zu Samadhi

Der buddhistische Weg ist ein Weg der zunehmenden Freude. Wenn ich mich an die Tugenden halte, entsteht allmählich eine innere Freude, von der der Buddha ausdrücklich sagt, es sei nicht notwendig zu denken: „Ach, möge doch Freude in mir entstehen“. Denn wenn man sich an die Tugenden hält sei es ein Gesetz, dass Freude in einem entstehe.

Und wenn diese Art von Freude entsteht, merkt ihr, dass ihr mit den Tugenden auf eine Schnellstraße eingebogen seid.

Dem innerlich Freudigen entsteht Jubel. Dem innerlich Jubelnden wird der Körper still. Bei gestilltem Körper empfindet er Wohl. Wer Wohl empfindet, dem wird das Herz einig.

Das Paliwort für Herzenseinigung ist Samadhi. Wenn ihr euch von dem Navigationsgerät der fünf heilenden Tugenden leiten lasst, seid ihr auf dem direkten Weg zu Samadhi.

Samadhi ist das Tor zu weiteren, sehr beglückenden Erfahrungen. Also, macht euch auf!

Wählt einen Übungspfad und denkt über ihn nach. Mit dem Nachdenken darüber spielt ihr das Programm auf euer Navigationsgerät. Bei jedem Nachsinnen über die Tugenden gibt es ein Update und der Autopilot funktioniert immer besser. Der Autopilot hat versagt? Macht euch nicht fertig. Macht einfach ein neues Update. Es braucht eine Weile, bis der Navi zuverlässig läuft, je nachdem welches Programm bisher drauf war. Und ihr dürft euch freuen, wenn ihr auf Kurs geblieben seid!

Womit fängst du an? Welche Erfahrungen machst du mit dem 5 Tugenden? Schreibe einen Kommentar.

 

Alle Zitate: Übersetzung von Fritz Schäfer aus: Der Buddha sprach nicht nur für Mönche und Nonnen

Urheberrecht: / 123RF Stockfoto

7 Gedanken zu „Ein Navi im Labyrinth – die Fünf Tugenden

  1. Vielen Dank für deinen Newsletter! :-)

    1. Ich will mich darin üben, kein lebendes Wesen zu töten.
    Ja, so denke ich schon lange. Und lebe vegetarisch. Aber manchmal frage ich mich, ob das nicht ein dekadentes Denken ist, denn Naturvölker können sich diesen Luxus nicht leisten. Sie leben vom Fischen und Jagen. Und ich trage auch Lederschuhe. Ungerne, aber bei meinen Füßen bin ich dann auch froh überhaupt welche zu finden die mir gut passen, bequem sind und mir optisch auch noch gefallen.
    Dann denke ich: ganz frei vom Töten ist es sehr schwer zu leben. Selbst die Medikamente die ich nehme, sind ja durch Tierversuche gegangen.

    2. Ich will mich darin üben, Nichtgegebenes nicht zu nehmen.
    Ja, auch das finde ich richtig.

    3. Ich will mich darin üben, keine falschen Geschlechtsbeziehungen zu haben.
    Ganz klare Zustimmung!

    4. Ich will mich darin üben, nicht zu lügen.
    Hm. Wo fängt die Lüge an? Neulich las ich: „Was ist besser? Die Wahrheit die verletzt oder die Lüge die Trost/Freude gibt?“

    Das fand ich nachdenkenswert.
    Und manchmal kann die Wahrheit auch dem Egoismus entspringen.
    Ist es nicht besser zu sagen: Ich will nicht lügen um meines Vorteils willen?

    5. Ich will mich darin üben, keine berauschenden Mittel zu mir zu nehmen.
    Ja. Ich lebe auch schon Jahrzehnte ohne Alkohol ( und anderen Drogen)
    Fühle mich dadurch aber oft als Außenseiter, weil ich absolut gar nichts trinke.

    Ich stelle immer mehr fest, daß mir das buddhistische Denken liegt/ich selbst so denke!
    Deshalb freue ich mich sehr darüber hier darüber zu lesen. Ich habe mich früher mit anderen religiösen oder esoterischen Denkweisen beschäftigt, habe aber nie etwas gefunden wo ich mich so richtig wiederfinden konnte.
    Daß mir der Buddhismus liegen könnte, auf die Idee wäre ich nicht gekommen. Daran hätte ich nie gedacht, weil ich damit nie in Berührung kam.
    Ich bin froh, durch Dich darüber zu lesen!
    Ganz liebe Grüße, Christiane

  2. Hallo Christiane!

    Ja, das hört sich zunächst alles sehr einläuchtend und einfach an. Doch wenn ich damit beginne, die Sachen umzusehen, dann merke ich erst, wie schwierig sie eigentlich sind….

    Klar, ich töte keine Menschen, aber keine Mücke mehr zerquetschen, die mich ins Bein sticht, keine Fliege in der Küche mehr erschlagen? Das ist schon nicht mehr so leicht. Im Sommer hatten wir eine Marienkäferinvasion im Laster. Die haben sich überall eingezeckt. Im Sommer konnten wir sie einfach einsammeln und vor die Tür setzten, aber jetzt würden sie draußen wohl erfrieren. Es sind nicht mehr so viele übrig, es taucht aber immer mal wieder einer auf und wir haben entschieden, dass sie jetzt bleiben dürfen.

    Nicht lügen, ist ja auch so eine Sache… Nein ich lüge nicht wirklich, erwische mich aber doch oft, wie ich Dinge beschönige oder bagatellisiere oder mir selbst etwas einrede oder versuche, etwas zu entschuldigen. Und manchmal kann man dem anderen die Wahrheit auch einfach nicht sagen, weil sie einem selbst schon unangenehm ist.

    Dazu wüsste ich gerne mehr

    :)

  3. Liebe Steffi,
    genau diese Detailfragen sind wichtig. Ja, es hört sich leicht an, aber beim zweiten Hinhören verschwindet dieser Eindruck ganz schnell. Übungspfad ist schon zutreffender.

    Den wichtigsten Schritt, ein Widerstreben gegen das Töten zu entwickeln, hast du hinter dir. Und jetzt geht es sozusagen um das Feintuning. Der Maßstab ist immer: „Lebendiges nicht umbringen, sondern mit allem Lebendigem mitempfinden.“ Und daran kann man dann immer aktuell anpassen, was man gerade tut.

    Gegen Insekten-Invasion haben wir übrigens in unserem Wohnwagen überall Mückenfenster, auch so eine Mückenfenster-Schiebetür vor dem Eingang, die gibt es im Campingbedarf. Sie schließt wirklich gut. Dann bleiben nur noch die Zwangsentlüftungen offen, über die kann man einen Rest Gardinentüll kleben.

    Was die Mücken angeht: ich habe großes Glück, dass ich Mücken nicht so anziehe. Wenn sie landen, puste ich sie immer weg, das funktioniert ganz gut.

    Da du und Christiane zu dem Thema „bei der Wahrheit zu bleiben“ knifflige Fragen gestellt haben, die etwas mehr Raum beanspruchen, werde ich im nächsten Beitrag darauf eingehen. Dieselben Fragen wurden nämlich auch dem Buddha gestellt und er hat sie sehr einleuchtend beantwortet.

  4. Liebe Christiane,
    entschuldige bitte, ich kriege es gerade technisch nicht hin, direkt unter deinem Kommentar zu antworten. Mein Antispam-Instrument hat die erste Antwort gefressen
    Ich freue mich, dass der Buddhismus und deine inneren Haltung sich so nahe sind. Dann ist es nicht schwer, weiter zu machen. Du hast recht, die fünf Übungspfade werfen viele Einzelfragen auf.
    zu 1. Nicht töten
    Der Buddha hat hier primär davon gesprochen, kein lebendes Wesen umzubringen. Seine Mönche und Nonnen leben ja bis heute von gespendetem Essen. Sie dürfen Fleisch unter der Bedingung annehmen, dass sie nicht vermuten müssen oder sogar wissen, dass es extra für sie geschlachtet wurde.
    Andererseits gab es damals keine Massentierhaltung mit dem unendlichen Leid der Tiere. Ich denke, dass Wichtigste ist auch hier, den Maßstab “Nichts Lebendiges umzubringen, sondern Mitempfinden mit allem Lebenden zu haben” klar vor Augen zu haben. Und dann muss man sich überlegen, was für einen damit vereinbar ist.
    Ein Zenmeister, bei dem ich war, antwortete auf die Frage, warum er Vegetarier sei: “Weil die Möhren nicht so laut schreien”.
    zu 4. die Frage mit der Lüge
    Diese Frage hat Steffi auch gestellt, weil ja niemand mit Ehrlichkeit verletzen will. Nächste Woche werde ich dazu etwas ausführlicher schreiben, was der Buddha auf die gleiche Frage geantwortet hat.
    zu 5. Es stimmt, wenn man viel mit Menschen zusammen ist, für die Alkohol unverzichtbar ist, kann man sich als Außenseiter fühlen. Ich habe auch das Gefühl, dass die Alkoholtrinker es manchmal als stillen Vorwurf empfinden, wenn man nicht trinkt. Klarer Fall von Projektion, denn den Vorwurf machen sie sich ja schon selbst, sonst würden sie nicht so reagieren. Ich kümmere mich einfach nicht drum.
    Liebe Grüße,
    Christiane

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