unbequeme Wahrheit

Eine unbequeme Wahrheit – soll man sie sagen?

Soll man immer die Wahrheit sagen, auch eine unbequeme Wahrheit, die vielleicht verletzen könnte? Wäre eine Notlüge nicht besser? Ist eine Lüge, die Trost und Freude spendet, nicht einer verletzenden Wahrheit vorzuziehen?

Oder ist es immer richtig, die Wahrheit zu sagen? Auch die unbequeme Wahrheit, die der anderen Person sehr unangenehm wäre?

Im letzten Beitrag ging es um die 5 Tugenden.  Wenn wir uns darin üben, nicht zu lügen, sondern die Wahrheit zu sagen, gibt es schnell Situationen, in denen wir mit der ungeschminkten Wahrheit ziemlich verletzend wären.

 

Wie ging der Buddha mit einer unbequemen Wahrheit um?

Er überging sie

Auch der Buddha begegnete manchmal Situationen, in denen eine direkte Antwort sehr verletzend gewesen wäre.

Ein König hatte seine Ehefrau Mallika verloren. Sie waren beide Anhänger des Buddha. Der König ging in seiner Trauer zum Erwachten um herauszufinden, in welcher Götterwelt seine Gemahlin wiedergeboren worden sei. Auf seine Frage tröstete der Buddha ihn mit einer erbauenden Rede,  und am Ende hatte der König seine Frage vergessen. Er kam jedoch am nächsten Tag mit derselben Frage wieder und wieder beantwortete der Erwachte die Frage nicht direkt, sondern mit einer Rede, die den König erfreute und über der er die Frage wieder vergaß. Das ging eine Woche lang jeden Tag so.

Nach einer Woche antwortete der Erwachte schließlich, sie sei in einer Götterwelt wiedererschienen.

Der Buddha wurde daraufhin später von seinen Mönchen gefragt, warum er nicht schon früher eine klare Antwort gegeben hätte. Er entgegnete, dass die Königin in der letzten Woche als kammische Frucht für früheres Wirken eine Woche in einer Höllenwelt gewesen sei.

Um den König nicht zutiefst unglücklich zu machen, ließ der Buddha dieses kurze Intermezzo aus.

 

Er bittet, nicht weiter zu fragen

In einer anderen Situation reagierte der Buddha so:

Auf die Frage eines Kriegers, ob in der Schlacht gefallene Soldaten nicht in entsprechenden Götterwelten wiedererscheinen würden, sagt der Erwachte zweimal „Frage nicht, lass es gut sein“.

Erst als der Krieger nicht nachließ, antwortet der Erwachte nach der dritten Frage mit der unangenehmen Antwort, dass sie in der Hölle wiedererscheinen würden. Daraufhin schrie der Krieger laut auf. Der Erwachte sagte: „Ich habe dir gesagt, frage nicht, lass es gut sein. Aber du hast nicht aufgehört, hast immer weiter gefragt“. Es stellte sich aber dann heraus, dass der Krieger laut aufgeschrien hatte, weil ihm bisher das Falsche beigebracht worden war, nicht, weil er jetzt die Wahrheit erfahren hatte.

 

Er sagt die unbequeme Wahrheit

Mit dem trauernden König ging der Erwachte sehr mtfühlend um und auch bei dem Krieger war er zurückhaltend. Aber nicht immer behandelte er andere so schonend. Ganz anders sprach er über  Devadatto, einen seiner Mönche und sein Cousin, der dreimal versucht hatte, den Buddha umzubringen. Als das nicht gelang versuchte er, den Orden zu spalten.

M 58 Abhayo-Sutta

Angestachelt von einem Asketen einer anderen Schule ging einmal Abhayo, ein Königssohn, zum Buddha, um ihn zum Redekampf herauszufordern. Er sollte ihn eines Widerspruches überführen: Zum achtfachen Pfad gehört die Rechte Rede, die auch einschließt, dass man niemandem etwas Unangenehmes sagt.

Der Buddha hatte jedoch über Devadatto gesagt, „Den Abweg geht Devadatto, der Hölle entgegen geht Devadatto für ein Weltzeitalter, unheilbar ist Devadatto“. Devadatto war darüber sehr wütend und verdrossen.

Während der Königssohn sprach, hatte er seinen jungen Sohn auf dem Schoß, der noch ein Säugling war. 

Der Erwachte antwortete ihm:

Was meinst, du, Königssohn, wenn dein Kind da, weil du nicht aufgepasst hast oder seine Amme, ein Hölzchen oder Steinchen in den Mund steckt, was machst du dann?“ – „Ich nehme es ihm weg, Herr. Wenn ich es ihm aber nicht gleich wegnehmen kann, dann packe ich das Kind mit der linken Hand am Kopf, und mit der rechten Hand hole ich es ihm mit dem gekrümmten Finger heraus, auch wenn es blutet; und warum? Weil mich das Kind dauert, Herr.“

– “ Ebenso, Königssohn, erkennt der Vollendete eine Redeweise, die nicht der Wirklichkeit entspricht, nicht wahr ist, nicht zum Heil führt und den anderen unlieb und unangenehm ist. Eine solche Rede führt der Vollendete nicht. –

Ferner erkennt der Vollendete auch eine Redeweise, die der Wirklichkeit entspricht, wahr ist, aber nicht zum Heil führt und den anderen unlieb und unangenehm ist. Auch eine solche Rede führt der Vollendete nicht. –

Weiter erkennt der Vollendete auch eine Redeweise, die der Wirklichkeit entspricht, wahr ist, zum Heil führt, den anderen aber unlieb und unangenehm ist. Dann weiß der Vollendete die rechte Gelegenheit zu erkennen, eine solche Aussage zu machen. –

Außerdem erkennt der Vollendete auch eine Redeweise, die der Wirklichkeit nicht entspricht, unwahr ist, nicht zum Heil führt, aber den anderen lieb und angenehm ist. Eine solche Rede führt der Vollendete nicht. –

Weiter erkennt der Vollendete auch eine Redeweise, die der Wirklichkeit entspricht, wahr ist, aber nicht zum Heil führt, jedoch den anderen lieb und angenehm ist. Eine solche Rede führt der Vollendete nicht. –

Schließlich erkennt der Vollendete auch eine Redeweise, die der Wirklichkeit entspricht, wahr ist, zum Heil führt und den anderen lieb und angenehm ist. Dann weiß der Erhabene die rechte Gelegenheit für eine Aussage zu erkennen. Und warum? Weil der Vollendete Erbarmen mit den Wesen hat.“  

 

Ist es wahr, führt es zum Heil und ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Drei Bedingungen müssen also vorhanden sein, damit der Buddha spricht:

Er weiß, dass er die Wahrheit sagt, und die Wahrheit führt zum Heil, das heißt zum Erwachen, zur Erleuchtung. Und es ist gerade der richtige Zeitpunkt. Der Mensch, zu dem ich spreche, ist aufnahmebereit dafür.

Die drei Kernfragen sind also:

1. Ist es wahr, was ich sage?

Wenn ich jemanden mit einer Lüge tröste und eine Freude bereite, besteht die große Gefahr, dass diese Lüge herauskommt. Dann wird sich dieser Mensch betrogen und allein gelassen fühlen. Ich kann mir eigentlich keine Situation vorstellen, in der eine Lüge angebracht wäre. Sollte eine Lüge die einzige Alternative sein, würde ich nichts sagen.

2. Führt das, was ich sage, Richtung Heil oder davon weg?

Werden die Eigenschaften stärker, die zum Erwachen führen, oder schwächer? Sind sie „heilstauglich“? Wenn die Wahrheit Richtung Heil führt, soll man sie sagen. Wenn sie davon wegführt, nicht. Das heißt, wenn durch die Wahrheit das Habenwollen oder die Ablehnung stärker werden, dann führt die Wahrheit vom Erwachen weg.

Auch wenn der Wahn verstärkt wird, entfernen wir uns vom Heil. Wahn heißt, etwas für eine Tatsache zu halten, das keine Tatsache ist. Darunter fällt das Gefühl, dass etwas immer weiter bestehe, was nicht von Dauer sein kann.

Der Erwachte hatte dem König nicht gesagt, dass seine Frau für eine Woche in Höllenwelten wiedererschienen war, weil der König in seinem Schmerz dadurch jedes Vertrauen in den Weg zum Nibbana verloren hätte. Schließlich hatten er und seine Frau die fünf Tugenden praktiziert und die Wahrheit in der Lehre erkannt. Wenn man danach noch in Höllenwelten kam, wäre doch alles umsonst.

3. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Zu einem späteren Zeitpunkt hätte der König verstanden, dass ihre gemeinsame Praxis Königin Mallikas Zeit in Höllenwelten stark verkürzt hatte. Wenn man eine unbequeme Wahrheit sagen muss, ist der richtige Zeitpunkt sehr wichtig.

Wie du siehst, ist allein die Tugend“ Ich will mich darin üben, nicht zu lügen“ ein weitreichender Übungspfad. Das Nachdenken über Situationen, in denen es schwierig war, auf diesem Übungspfad zu bleiben, ist auch eine Meditation.

Es gibt viele verschiedene Meditationsformen in der buddhistischen Lehre, eine Methode ist die Betrachtung der Tugenden.

Entwickele nach und nach das Programm für deinen Autopiloten.  Wenn etwas schief gelaufen ist, erinnere dich:

Erwachsen zu den Tugenden ist jemand, der das Widerstreben gegen das Zuwiderhandeln empfindet. Auch wenn du nicht „perfekt“ bist, das Wichtigste ist, das Widerstreben gegen ein Verlassen der Übungspfade zu entwickeln.

Wie denkst du über diese Anhaltspunkte?

 

Übersetzung der Lehrrede von Fritz Schäfer aus: Der Buddha sprach nicht nur für Mönche und Nonnen

Bild: / 123RF Stockfoto  

 

4 Gedanken zu „Eine unbequeme Wahrheit – soll man sie sagen?

  1. Vielen Dank für diesen Artikel. In einer Zen-Gruppe kam in den letzten Tagen eine Diskussion zum Thema „rechte Rede“ auf, die sehr hitzig geführt wurde. Während einige der Meinung waren, man müsse immer die Wahrheit sagen, vertrat ich die Ansicht, dass eine Lüge nicht zu vertreten sei. Ich denke, dass es im Einklang mit dem achtfachen Pfad ist, eine Frage nicht zu beantworten, um die Gefühle des anderen nicht zu verletzen. Auf diese Weise kann ich auch Wertschätzung und Respekt für mein Gegenüber aufbringen. Das gehört zwar nicht unmittelbar zur „rechten Rede“ aber zu den übrigen Punkten des achtfachen Pfades.
    Durch deinen Artikel konnte ich mein Verhalten und meine Ansicht reflektieren.

  2. Hallo Jörg,
    danke für deinen nachdenklichen Kommentar. Ja, diese Diskussionen werden oft mit ziemlicher Verve geführt. Wertschätzung und Respekt sind auf jeden Fall sehr wichtig.

    Genau die Aussage, dass man immer die Wahrheit sagen müsse, hat übrigens auch jemand dem Buddha gegenüber gemacht. Die Antwort darauf lautete, weder solle man sie immer sagen, noch solle man sie nie sagen.

    Wenn die heilstauglichen Gegebenheiten dadurch zunehmen und die heilsuntauglichen abnehmen, soll man es sagen, sonst nicht. A IV, 183.

    Und heilstauglich heißt ja, niemanden in Bedrängnis zu bringen.

    Ich stelle mir immer einen Pferdewagen vor: Der Kutscher hält zwei Zügel, Mitgefühl und Tugend. Er darf an keinem Zügel zu sehr zerren, sonst läuft das Pferd in den Graben.

    Herzliche Grüße,
    Christiane

  3. Hallo Christiane! Dazu fällt mir meine Omi ein, die immer gesagt hat: „Wenn man nichts Gutes über jemanden sagen kann, sollte man lieber schweigen!“

    Und dann ist da ja immer noch die Frage, ob es „die Wahrheit“ überhaupt gibt. Also, vielleicht ist es ja manchmal auch gut, über seine eigene Sichtweise nachzudenken und sie in Frage zu stellen.

  4. Hallo Steffi,
    wie weise von deiner Omi!

    Und du hast recht: Was ist eigentlich Wahrheit? Eigentlich denken wir uns ja alles zusammen aus den Schnipseln, die wir wahrnehmen und für die Realität oder Wahrheit halten.

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